Die Schweiz und die Atomenergie – ein verpasster Zeitplan für den Ausstieg aus der Atomkraft

Am 27. November 2016 hat der Schweizerische Souverän die Initiative ‘Ja zum geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)’ in einer Volksabstimmung abgelehnt. Insgesamt war dies die siebte Volksinitiative, die den Kurs der Stromversorgung in der Schweiz ändern sollte, weg von der Atomenergie, hin zu erneuerbaren und neuen erneuerbaren Produktionsformen. Eine einzige von sieben Initiativen haben die Atomkraftgegner 1990 gewonnen. Es war die Moratoriumsinitiative, die ein Moratorium für den Neubau von AKW für zehn Jahre bewirkte, retrospektiv ein wichtiger Schritt in Richtung Ausstieg aus der Atomenergie, denn dieser Schritt bewirkte, dass letztlich keine neuen Anlagen gebaut wurden und der Bau zweier Anlagen, die vor Fukushima in der Pipeline waren, schon in der Planungsphase ad acta gelegt werden konnte. Statt dem Neubau von AKW wurde gesetzgeberisch am 30. September 2016 in der „Energiestrategie 2050“ festgeschrieben, dass ein Neubau von AKW ausgeschlossen sei. So weit so gut?

Aber nun hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) begonnen, gegen diese Gesetzgebung Unterschriften für ein Referendum zu sammeln. Dafür hat sie Zeit bis zum 19. Januar 2017. Gelingt es den Rechtspopulisten, das Energiegesetz „Energiestrategie 2050“ auszuhebeln, wäre ein Neubau von AKW in der Schweiz wieder denkbar. Ein mehr oder weniger appetitliches überparteiliches Komitee ist gegründet und der GLP-Präsident Martin Bäumle hat das Referendum auch schon unterschrieben. Die Annahme dieses Referendums gilt es zu verhindern mit politischer Arbeit. Sollte das Referendum der SVP zustande kommen, müssen wir es bekämpfen, was uns aller Wahrscheinlichkeit nach gelingen wird. Immerhin haben der Initiative ‘Ja zum geordneten Ausstieg aus der Atomenergie’ 45.8% der Stimmenden zugestimmt und brauchte es doch für die Abschmetterung des Referendums kein Stände-, sondern nur ein Volksmehr.

Neben dem Gewinn der Moratoriumsinitiative 1990 war ein wichtiger indirekter Sieg der AKW-Gegner, dass im Kernenergiegesetz 2003 (in Kraft seit 1.2.2005) ein Moratorium für die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente aus Schweizer Reaktoren beschlossen wurde, das als Verbot im Gesetz zur „Energiestrategie 2050“ definitiv für alle Zukunft festgeschrieben ist. Zudem haben wir durch die Baugrundbesetzung 1975 das AKW Kaiseraugst nahe Basel verhindert.

Ein grosses Defizit der Schweizerischen Energiepolitik bleibt dennoch. Wie in Schweden, wo der Ausstieg aus der Atomenergie 1980 beschlossen, aber nie vollzogen wurde, haben wir in der Schweiz nun keinen Zeitplan für die Abschaltung unserer verrotteten und gefährlichen Anlagen erreicht, was der Sinn der Grünen Initiative ‘Ja zum geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)’gewesen wäre. Es wird nämlich der sogenannten (Un)Sicherheitsbehörde ENSI (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat) überlassen, zu beurteilen, wie lange die laufenden AKW als sicher gelten können und somit weiter betrieben werden dürfen. Das gefährdet erstens unsere Bevölkerung erheblich, und es verursacht enorme Kosten, die von den finanziell am Abgrund stehenden AKW-Betreibern nicht zu tragen sein werden. Unsere Kinder und Grosskinder werden nicht nur an ihrer Gesundheit gefährdet, sondern sie werden über Steuern auch noch dafür zahlen müssen, dass wir auf ihre Kosten Strom produziert haben.

Weshalb wir diese Initiative trotz guter Argumente verloren haben? Ich denke, dass Argumente nicht mehr gewichten, dass wir – ohne es uns zuzugestehen auch in der Schweiz in unsäglichen Zeiten leben, in denen Populisten und Interessenvertreter das Ruder übernommen haben. Ich denke, dass wir AKW-Gegner noch lange gefordert sein werden, dass wir weiterarbeiten und argumentieren müssen, dass wir aber unsere Gedanken viel intensiver in die politische Diskussion einbringen müssen und näher an die Bevölkerung herangehen müssen, auch näher an die bürgerlichen Kreise in unserem Land.

Konkret gilt es in der Schweiz nun, die „Energiestrategie 2050“ zu retten und zudem darauf hinzuwirken, dass weitere veraltete AKW vom Netz genommen werden. Uns kann dabei helfen, dass ganz offensichtlich Atomkraft unbezahlbar ist und dass kein vernünftiger Investor in AKW und deren Nachrüstung investieren wird, ausser er würde von der Gesellschaft abgesichert. Das aber darf auf keinen Fall auf Kosten kommender Generationen geschehen.

Denn: Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen.